Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Predigt über Jesaja 50, 4 - 9
Palmarum 1.April 2012 Eisenstadt

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Nach dem wohlbekannten Evangelium über den Einzug Jesu in Jerusalem am heute so genannten Palmsonntag führt uns die Predigt zu einem weniger bekannten Abschnitte des Alten Testaments: Jesaja 50, 4-9

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.
5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel.
7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.
8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Laßt uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir.
9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.

Herr, segne unser Reden und Hören!

Was wir eben als Predigtabschnitt für den Palmsonntag gehört haben, könnte aus einem Tagebuch stammen.

Viele Jahrhunderte alt, lange vor Christi Geburt geschrieben. Aber so persönliche Aufzeichnungen sind eigentlich immer interessant.

Da schreibt man ja das hinein, was einem wichtig ist. Erlebnisse, Begegnungen, Gefühle, die man nicht vor jedermann ausbreiten möchte.

Darum haben die meisten Tagebücher auch einen Schlüssel. Damit nicht jeder herumschnüffeln kann, wühlen in dem, was des anderen Herz bewegt. … Was gäben manche Eltern dafür, in den geheimen Aufzeichnungen ihrer Kinder lesen zu können.

Wer das Vorrecht hat, im Tagebuch eines anderen lesen zu dürfen, der sollte sich des Vertrauens bewusst sein, das ihm entgegengebracht wird. Und sorgsam damit umgehen, besonders aufmerksam lesen und zuhören.

Unser Predigtabschnitt hat keinen Schlüssel. Zumindest keinen, den man in die Hand nehmen kann. Und doch liegen hier ganz persönliche Aufzeichnungen vor uns.

In denen einer erzählt, was er erlebt hat, was ihm wichtig ist, was sein Leben prägt.

Er erzählt sogar von seinen Erfahrungen mit Gott, von seinem Glauben – Bereiche, die wir sonst gerne vor anderen verschließen.

Wir sind heute morgen eingeladen, zuzuhören, was dieser „Freund“ aus alten Zeiten uns erzählt. Gehen war sorgsam damit um.

Damit die Übersicht leichter ist, habe ich das zu Hörende in vier Teile gegliedert – der erste ist der längste.

  1. Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet

Wir hören so viel im Lauf eines Tages, einer Woche. So viele Informationen, Zahlen und Fakten dringen auf uns ein.

Eine Flut von Geräuschen und Eindrücken …

Kann sich jemand noch an diese fernen Tage der medialen Steinzeit erinnern, in denen es nur ein Fernsehprogramm gab, und dass schwarz/weiß und nur für wenige Stunden.

In denen sich die Kinder des ganzen Hauses am Mittwochnachmittag vor dem einzigen Fernseher versammelten, um den Kasperl zu sehen.

Heute gibt es zig, ja hunderte Programme, die rund um die Uhr senden.

Die Eindrücke wechseln immer schneller. Videoclips spülen in kürzester Zeit unvorstellbar viele Bilder und Geräusche in unsere Hirne und Herzen … weiß jemand, wieviele in einer Sekunde?

Computer, Spielkonsolen, Handys …

Unser Alltags- und Freizeitverhalten ist innerhalb weniger Jahre so grundsätzlich verändert worden, dass es einer Revolution gleicht …

Am Beginn meiner Lehrtätigkeit war ein Diavortrag noch eine willkommene Abwechslung. Heute lockt man damit kaum einen Schüler hinter dem Ofen hervor. Da bewegt sich ja nichts … stehende Bilder.

Keine Action.

Was von dem, was wir hören und sehen, dringt eigentlich noch vor bis in unser Herz? Ohne dass es abprallt oder beim einen Ohr rein und beim anderen raus geht.

Und vielleicht noch wichtiger die Frage, gerade am Beginn der Karwoche: Können wir eigentlich aus dem Vielen, was täglich, stündlich auf uns einstürzt, noch das Wesentliche herausfiltern, heraushören?

Und jetzt lesen wir, ganz leise am Eingang der Karwoche: Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet.

Ein Wunder, heute mehr denn je. Gott, der Herr, hat es geschafft, dass ich wieder hören, wieder verstehen kann.

Er hat mir geholfen, dass ich unter den vielen Stimmen SEINE Stimme erkannt habe.

Der Glaube kommt aus dem Hören, schreibt Paulus im Römerbrief. Den Glauben zimmern wir uns nicht selbst zurecht, von uns ausgewählte Versatzstücke im Supermarkt der Weltanschauungen.

Nein, Glauben wächst im Hören auf Gottes Wort.

Darum ist es immer wieder ein Wunder, ein Wunder des Heiligen Geistes, wenn ein Mensch zu glauben, zu hören beginnt … einmal, immer wieder.

„Er weckt mich alle Morgen, er weckt mir selbst das Ohr.“

Dieses Lied von Jochen Klepper, gedichtet nach unserem Predigtabschnitt, werden wir im Anschluss singen.

Er redet zu mir. Er lässt mich sein Wort verstehen.

„Dass ich höre, wie Jünger hören …“

Ein zweites:

  1. Gott, der Herr, hat mir den Mund geöffnet

Das Reden steht zwar am Anfang unseres Abschnittes, aber aus dem Zusammenhang und auch logisch wird klar, dass das Hören das Erste ist und das Reden die Folge daraus.

4a „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.“

Wir könnten jetzt nach dem Hören noch viel über das Reden reden –

z.B. dass wir nicht nur viel hören, sondern auch viel reden, ohne uns der Wirkung unseres Redens immer bewusst zu sein.

So viele Sitzungen, so viele Stellungnahmen, so viele Thesen, so viele Meinungen … eine natürlich wichtiger als die andere (und besonders die meine).

Wie schnell uns die Worte über die Lippen fließen … ob sie gerade gut waren … für mich, für den anderen, für die Gemeinschaft .. für das Ziel, das wir erreichen wollen …

Und wie schwer ist es oft, ein mutmachendes Wort zu sagen … das den anderen ernst nimmt und aufbaut …

Und wie schwer ist es oft, vom eigenen Glauben zu reden, im kleinen Bereich und als Kirche – so dass andere es verstehen …

4a „Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.“

Ich kommen am Schluss noch einmal darauf zurück, nehme aber jetzt einen Einwand auf:

Die Gottesknechtslieder

Wer sich in die Bibel und in die Theologie ein wenig mehr vertiefen konnte, dem ist natürlich aufgefallen, dass es sich bei unserem Predigtabschnitt um eines der Gottesknechtslieder bei Jesaja handelt.

Deren gibt es vier, das bekannteste steht am Anfang von Jesaja 53, wo Christen ganz deutlich den Hinweis auf Jesus Christus erkennen.

Ich kann das hier nur andeuten. Ich bin in der vorletzten Passionsandacht sehr ausführlich auf diese Gottesknechtslieder eingegangen.

Auf den leidenden Gottesknecht, der Hinweis auf den zukünftigen Messias ist … der geschlagen und verspottet wurde und doch gehorsam geblieben ist … und der nicht nur zur Rettung des Volkes Israel wird, sondern zum Licht der Heiden …

Vielschichtig sind diese Gottesknechtslieder, das Heil der ganzen Welt ist im Blick und dann wieder diese tagebuchartigen Aufzeichnungen, die Demut und Schmach mit Gehorsam und Hingabe verbinden …

„Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften“ (50,6).

„Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt“ (53, 5b).

Der Knecht Gottes hat ein offenes Ohr für die Schreie der Aussätzigen, für das Seufzen der mit Schuld Beladenen, für die Bitten der Hungrigen, für die Klagen derer, die Unrecht leiden. Und was er von Gott gehört hat, das sagt er weiter mit Worten und Taten:

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken“ (Matth. 11, 28).

Gerade am Palmsonntag, dem Eingangstor zur Karwoche, an dem der Jubel des Einzugs in Jerusalem und der Schatten des Karfreitags sich so dicht verweben, sind wir hineingenommen in diese großartig düstere-herrliche Vision des Gottesknechts, in tagebuchartige Aufzeichnungen.

Wie Gott ihm das Ohr geöffnet hat. Trotz allem.

Und den Mund. Trotz allem.

Kommt her zu mir alle … die ihr mühselig und beladen seid … Sagt Jesus.

Und lasst euch von Ihm senden zu anderen, die mühselig und beladen sind … ihr braucht sie nicht mit der Lupe oder über google zu suchen. Sie leben neben euch und manchmal sitzen sie auch neben euch.

Ich lade Sie ein, dem einfach noch einmal nachzusinnen …

Wort für Wort …

Schritt für Schritt …

Wunder für Wunder …

Gott, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet …

Gott, der Herr, hat mir den Mund geöffnet

Er hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben und Jüngerinnen,

Frauen und Männer, die zu Jesus gehören und ihm nachfolgen …

dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden.“

Es gibt so viele Starke und Tolle.

Und so viele Müde, die eines dieser Worte brauchen, die Jesus seinen Jüngern und Jüngerinnen schenkt, und manchmal eine Schulter zum Anlehnen …

Und Starke, denen Kraft geschenkt wurde, die sie aber nicht für sich selbst einsperren, sondern ihre Hände öffnen, um etwas davon weiterzugeben …

zur rechten Zeit

ein großes Geheimnis … zur rechten Zeit .. auf griechisch kairos

Und wahrscheinlich werden wir merken, als Jüngerinnen und Jünger dieses Jesus Christus, dass das alles keine Einbahnstraße ist … Starke und Schwache … Gebende und Nehmende .. sondern ein miteinander Teilen … dessen, was Gott in unser Leben hineingelegt hat … an Stärken und an Schwächen …

Vielleicht werden wir das merken sogar mit einem Lächeln auf den Lippen und großer Dankbarkeit …

Gemeinde Jesu Christi als ein Raum, in dem Menschen aufatmen können und zwischen der jubelnden Begeisterung des Palmsonntag und der Trauer des Karfreitag schon die Auferstehung riechen können… Amen.