Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Karfreitags-Predigt 29.3.2013

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

Matthäus 27, 46 :”Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“

Liebe Gemeinde!

Ein Schrei zerreißt die Welt!

Darf man das? So schreien!

„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“

Darf ER das? Jesus, Gottes Sohn, der doch immer in völliger Gemeinschaft mit dem Vater war. Der immer Seinen Willen getan hat. Der als einziger ohne Sünde war.

Passt das zu Jesus? Entspricht das unserem Bild von IHM. Als Vorbild im Glauben, als Heiland und Retter der Welt?

Von all den Worten Jesu am Kreuz, die uns von den Evangelisten überliefert sind, ist dieses wohl eines der schwierigsten:

„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ - und das aus dem Mund Jesu!!

Ich möchte beten:

Herr, wenn wir Dein Leiden und Sterben bedenken,

dann hilf uns, nicht nur darüber zu reden,

nicht nur darüber nachzudenken,

sondern rühre Du selbst uns an ...

lass uns nicht gleichgültig oder distanziert bleiben.

Hilf uns, dieses Geheimnis zu verstehen oder es wenigstens zu erahnen,

und es nicht zu zerreden.

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So lade ich Sie ein, dem Sinn dieser Worte Jesu nachzuspüren.

Versuchen wir, diese Worte zunächst einmal ernst-zu-nehmen.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Nicht wegschieben, nicht wegerklären, nicht verharmlosen.

Es scheint nicht nur so, er ist wirklich verlassen.

Von Gott verlassen hängt er am Kreuz.

Die Geschichte, die Kirchengeschichte ist voll von Erklärungsversuchen. Wie das möglich sein kann. Warum das nicht möglich sein kann. Weil das ja nicht sein darf, dass Gott-Sohn / gott-verlassen am Kreuz hängt - darum sucht man nach Ausweichmöglichkeiten.

Die beliebteste Ausweichmöglichkeit: Es war nur scheinbar.

Darf ich Sie mitnehmen auf einen kleinen theologischen, theologiegeschichtlichen Exkurs?

Eine der wichtigsten Fragen, die die Christen der ersten Jahrhunderte bewegt haben, im Nachdenken über Gott, über Jesus, über den Heiligen Geist, war die:

War Jesus Christus Mensch oder Gott? Und in welchem Verhältnis? Wann war er Mensch, wann war er Gott?

Befragen wir die Hl. Schrift, so war er Mensch – er aß und trank, hatte Hunger und Durst, lachte und weinte ...

Befragen wir die Hl. Schrift, so war er Gott – eins mit dem Vater von Anbeginn der Zeit, erfüllt von der Kraft Gottes, ohne Sünde ...

Wie verhält sich das zueinander – Menschheit und Gottheit Christi?

Die Väter des Glaubens haben auf dem Konzil von Chalcedon, der größten Synode der alten Kirche, im Jahre 451, festgehalten:

Das darf man nicht trennen, das darf man nicht durcheinandermischen.

Er war beides. Gott und Mensch. Und beides ganz.

Vere deus – vere home. Wahrer Gott und wahrer Mensch.

Der Mut der alten Kirche ist bewundernswert: zwei Dinge nebeneinander stehen zu lassen, die sich mit dem Verstand nicht sofort auf einen Nenner bringen lassen.

Was uns so oft Mühe gemacht hat, was nun auch in den Naturwissenschaften langsam hinter sich gelassen wird, dieses eindimensionale Denkschema, ist hier schon ganz früh überwunden:

Wahrer Gott und wahrer Mensch. Beides. Und beides ganz.

Damit wurde auch einer gnostischen Strömung entgegengetreten, die man Doketismus nennt.

Von „dokeo“ – scheinen. Es war nur scheinbar.

Christus hat nur scheinbar gelitten.

Denn das darf ja nicht sein. Dass Christus, dass Gott leidet. Dass Gott stirbt.

Also hat man sich Ausweichmanöver ausgedacht:

z.B.: Jesus war ein wirklicher Mensch, auf dem Christus von oben her ruhte. Bei der Kreuzigung haben sie sich dann getrennt. Der Mensch ist gestorben, der Gott hat sich – ich sage es etwas ironisch – vorher abgesetzt.

z.B. Christus hatte nur einen Scheinleib. Mit einem Leib aus einer anderen Welt ist er über diese Erde gewandelt. Und gespürt hat er natürlich nichts.

Dass das mit den Evangelien überhaupt nicht zusammenpasst, ist offensichtlich.

Ein anderes, seltsames Modell lieferte der Gnostiker Basilides schon am Beginn des 2.Jahrhunderts: Die römischen Soldaten haben ja dem Simon von Kyrene befohlen, Jesu Kreuz weiterzutragen.

Und dann hätten die beiden getauscht. Simon von Kyrene wäre in der Gestalt Jesu gekreuzigt worden. Und Jesus von Nazareth hätte sich in der Gestalt des Simon davongemacht.

Wir sollten nicht urteilen. Als zum Teil geplagte Erben von 2000 Jahren Kirchengeschichte – über diese ersten Versuche, dem Geheimnis Gottes nachzudenken.

Aber merken Sie eines: Wieviel Mühe man sich gegeben hat, dieses Ärgernis wegzuerklären.

Gott und Leiden. Gottes Sohn und Gottverlassenheit –

Darum als erstes: Ernst nehmen. Sich dem einmal stellen. Nicht wegerklären. Nicht verharmlosen.

Auch für die unmittelbar Beteiligten war es schwer:

„Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe“ (Mt.27, 39).

Kopfschütteln und Spott.

Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig doch herab vom Kreuz...

Andern hat er geholfen, aber sich selber kann er nicht helfen ...

Wenn er der König Israels ist, dann steige er herab vom Kreuz. Dann wollen wir ihm glauben.

Wenn er wirklich mehr ist als die vielen anderen Messiasse und Scharlatane und Volksverführer, dann müsste Gott doch jetzt zu ihm stehen.

Und ihn nicht einfach diesem ungerechten Urteil und der Willkür der Soldaten ausliefern.

Und seine Jünger und Jüngerinnen. Die ihm gefolgt sind, die ihre Hoffnung auf ihn gesetzt haben, die ihr Leben für ihn in die Waagschale geworfen haben ..

Ich könnte mir vorstellen, dass sie bis zuletzt, bis zum allerletzten Augenblick gehofft, gelitten, gebetet haben: Gott, lass das doch nicht zu, greif doch ein ....

Ahnen wir etwas davon, diesen Schrei Jesu ernstzunehmen? „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!“

Nicht scheinbar, sondern wirklich!

Warum lässt Gott das zu?

Diese Frage nach dem Warum, die wir so oft anderen und Gott wie einen nassen Fetzen um die Ohren schlagen, fällt auf uns zurück.

Die Antwort liegt in uns!

Warum hängt Jesus hier, von Gott verlassen.

Weil wir Gott verlassen haben.

Mein Gott, mein Gott, warum haben wir DICH verlassen.

Das führt uns zum entscheidenden Verständnis des Karfreitag.

Jesus ist in unsere Verlassenheit hineingestoßen. Er nimmt unsere Schuld auf sich.

Auch hier gibt es wieder jede Menge Ausweichmanöver. Ich nehm’ jetzt solche aus der frühen Kirchengeschichte, sondern von heute...

Das hätte Gott auch einfacher haben können ... er hätte ja nur die Augen zudrücken brauchen, und über die Verfehlungen unseres Lebens ein weiches, warmes Tuch breiten....

Wir neigen wohl alle dazu, unsere Sünde zu leicht zu nehmen, zu verharmlosen, uns selber zu rechtfertigen.

Bis dahin, dass gelegentlich gesagt wird: Wegen mir hätt’ er net sterben brauchen.... Sicher, i bin ka Engerl, aber im Großen und Ganzen muss Gott schon zufrieden sein mit mir. Und beim Rest wird er hoffentlich ein Äugerl zudrücken...

Täuschen wir uns nicht.

Sünde, lässt uns Gott in der Heiligen Schrift ausrichten, bedeutet Trennung. Trennt uns von Gott und von den Mitmenschen. Manchmal auch von uns selber. Bringt den Tod mit sich ...

Und beobachten wir doch einmal ehrlich ..

Jede Lüge, jeder Streit, jedes schlechte Reden über jemand hinter seinem Rücken, jedes egoistische Handeln bringt ein Stück Tod mit sich...

Kälte in der Beziehung ....

Entfremdung zwischen Menschen...

Gott nimmt unsere Schuld ernst.

So ernst, dass er seinen Sohn in der Verlassenheit lässt.

Paulus sagt sogar: „Er hat ihn zur Sünde gemacht“

„Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Prophet Jesaja)

Die Strafe liegt auf ihm, damit wir Frieden bekommen.

Ein seltsames, schwer begreifliches Geheimnis, für manche ein Ärgernis … Paulus nennt es die Torheit des Kreuzes...

Wunder der Liebe Gottes, dass er IHN hingibt, um uns zu bekommen.

Wieder – zu –bekommen...

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“ (Joh.3,16).

„Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last;

ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast.

Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat;

gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad!“

„Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“

Ein Schrei der Gottverlassenheit, der Verzweiflung, des Nicht-Verstehens ....

Und ich sehe in diesen Schrei hineingezeichnet so viel Zerrissenheit ... in dieser Welt, in uns selber, so viele Schreie ...

  • Da stirbt ein lieber Mensch, plötzlich und viel zu früh, wir hätten ihn noch so sehr gebraucht...
  • Da entgleitet einer alleinerziehenden Mutter das Kind, dem sie doch all die Liebe schenken wollte, die ihr selber versagt geblieben ist
  • Da findet ein Mann nach vielen Ehejahren eine andere, eine Jüngere/ lässt alles zurück an Gemeinsamkeit, an Aufgebautem, an Plänen – sogar die Kinder / und geht mit ihr auf und davon ....
  • Da bricht das mühsam und liebevoll aufgebaute Haus des Lebens von einem Tag auf den anderen wie ein Kartenhaus zusammen …
  • Ich versage mir weitere Beispiele, ich denke, jeder von Ihnen könnte welche hinzufügen....

Und dann dieses Bild: Jesus am Kreuz, sein Schrei: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“

Ich wüsste keinen Ort und keine Idee und keine Lebensmodell und keine Ideologie und keine Religion, in der der Schmerz und die Zerrissenheit um uns und in uns so ernst genommen wird wie am Kreuz auf Golgatha....

Ich möchte mich da mit hineinbegeben ...

Keine fertigen Lösungen anbieten müssen ..

Die Welt nicht erklären müssen. Und auch nicht das Leid ...

Auch verzweifeln dürfen, Gott alles ins Gesicht schreien, auch die Verbitterung, auch den Zorn und manchmal die Enttäuschung über andere und mich selbst ....

All das, und das, was mir an fremdem Leid begegnet, und die Ignoranz und die Gleichgültigkeit, die mich manchmal so aufregt/ und die Kurzsichtigkeit/ und die Wunden, die wir uns gegenseitig zufügen ...

All das..

Finde ich ernstgenommen, ernstgenommen wie nirgends sonst, und hineingenommen in den Schrei Jesu: „Warum hast Du mich verlassen?“

Aber selbst hier wird sein Schrei zu einem Gebet: „Mein Gott, mein Gott“, und zu einer Bitte um Hilfe, zu einem Ausdruck des Vertrauens: Mein Gott!

In dieser äußersten Verlassenheit greift Jesus ein Wort aus dem 22.Psalm auf, den wir auch den Leidenspsalm Jesu nennen (wir haben ihn am Anfang des Gottesdienstes gehört...)

Ein Schrei zerreißt die Welt!

Zerreißt die Zerrissenheit, öffnet die Sinnlosigkeit hin zur Möglichkeit des Vertrauens.

Endlich ein Ort, zu dem ich alles mitnehmen kann, was mich beschäftigt und umtreibt, was mir begegnet in einer oft so heillosen und kalten Welt ...

Endlich ein Ort, an dem keiner so tun muss, als ob ...

Endlich ein Ort, an dem Verzweiflung genannt, Verlassenheit hinausgeschrien, und Fragen ungelöst bleiben dürfen ....

Hier liegt der Kern evangelischen, vom Evangelium geprägten Glaubens, hier liegt der Grund, warum die reformatorischen Kirchen das Wort vom Kreuz betonen, hier liegt die Berechtigung, den Karfreitag als eigenen Feiertag mit Ostern (aber nicht ohne Ostern) zu feiern.

Amen.

(Anmerkung: Wenn ich mich recht erinnere, ist mir die Überschrift der Predigt durch einen Buchtitel von Ulrich Parzany aus meiner Jugendzeit erhalten geblieben)