Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Predigt in der Evang.Auferstehungskirche Eisenstadt am 1.12.2013

So haben wir nun, liebe Brüder und Schwestern, durch das Blut Jesu die Freiheit, ins Heiligtum einzutreten. Diesen Zutritt hat er uns verschafft als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang hindurch, das heisst durch sein Fleisch. Auch haben wir nun einen grossen Priester über das Haus Gottes. Lasst uns also hinzutreten mit aufrichtigem Herzen in der Fülle des Glaubens, das Herz gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser. Lasst uns festhalten am unverrückbaren Bekenntnis der Hoffnung, denn treu ist, der die Verheissung gab. Und lasst uns darauf bedacht sein, dass wir einander anspornen zur Liebe und zu guten Taten: Wir wollen die Versammlung der Gemeinde nicht verlassen, wie es bei einigen üblich geworden ist, sondern einander mit Zuspruch beistehen, und dies umso mehr, als ihr den Tag nahen seht.

Hebräer 10 v.19-25 (Zürcher Bibel 2007)

Liebe Gemeinde!

“Prinzip Hoffnung”: Unter diesem Titel hat der Philosoph Ernst Bloch ein großes Werk veröffentlicht, das mit folgenden nachdenkenswerten Sätzen endet:

“Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer realen. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.” Soweit der Philosoph.

Ich gestehe, dass mich die vorwärts drängende Gestimmtheit dieser Sätze immer wieder fasziniert. Die marxistische Utopie, die Bloch im Auge hat, ist zwar in einer schlimmen Realisierung unter ungeheuren Opfern gescheitert, und der umgestaltende Mensch hat nicht nur positiv Großes geleistet, sondern beschwört fortwährend auch wirtschaftliche, ökologische und gesellschaftliche Katastrophen herauf. Trotzdem ist die Sehnsucht nach einer ganzen, heilen Welt nicht auszurotten, in der wir uns wirklich zu Hause fühlen, in der Freiheit und Liebe zusammenfinden, in der sich Gerechtigkeit und Frieden küssen, dass etwas entsteht, “das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat”.

Wir feiern Advent. Ich erinnere mich an meine Kindheit in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Da waren Kälte und Dunkelheit nicht nur meteorologische Gegebenheiten. Denken Sie an die berühmte Weihnachtsansprache Leopold Figls zum Weihnachtsfest 1945, in der er seine hilflose Armut bekannte, aber zum Glauben an eine gute Zukunft Österreichs aufrief. Und dann doch die Kerzen, das wachsende Licht gegen die Dunkelheit, die tägliche süße Ration aus dem Adventkalender, die die Spannung auf das Fest beförderte und wach hielt, und schließlich der festliche Abend mit dem Christbaum und der Geschenküberraschung. Ich war restlos ausgefüllt mit Glück, wie es nur ein Kind sein kann, obwohl nach heutigem Maßstab alles von beschämender Armut war.

Dies Erleben hat sich tief in die kindliche Seele eingeprägt. Noch bevor ich es im Denken fassen konnte, habe ich das Wunder der Weihnacht erlebt, was es bedeutet, dass Gott, der Schöpfer des Universums, in unsere dunkle Welt kommt, um unser Leben zu teilen und uns aus allem Elend wieder in die ewige Heimat zu führen. Welche Mühen, welche Kämpfe dann auch noch kommen sollten, diese Erinnerung war nicht mehr zu löschen und blieb als Sehnsuchtspotential erhalten. Wohl uns, wenn wir auch unseren Kindern dies frohmachende Geheimnis vermitteln können!

Wir haben es heutzutage aber schwer. Mit tiefen Emotionen lassen sich gute Geschäfte machen. Nicht nur sex sells.Und so überstrahlen die Neonleuchten die Kerzen, wird die Adventzeit zu einem Wirtschaftstermin, die kostbaren Weihnachtslieder werden bis zum Überdruss als Animationsmittel in den Warenhäusern eingesetzt, und der Glaubensinhalt des Festes verliert sich. Wir können die Weihnachtsfreude nicht erzeugen und kaufen, sie ist und bleibt ein wunderbares Geschenk Gottes, verdankt sich seiner Aktion. So fühlen sich viele Menschen um ihre kindlichen Erfahrungen und die daraus resultierenden Erwartungen betrogen. Die Adventzeit erfüllt sie mit schmerzlicher Nostalgie und sie fliehen vor dem Fest in die Karibik.

Wenn wir die frohe Botschaft der Engel auf dem Hirtenfeld wirklich ernst nehmen, genügt es nicht, Advent nur als Vorbereitungszeit auf das Erinnerungsfest der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem zu feiern. Über der Krippe erhebt sich der Schatten des Kreuzes. Wir glauben nicht an das Kind, sondern an den Mann Jesus Christus. Wenn wir mit ihm gehen, bleibt uns auch die Bitterkeit der Kreuzeserfahrung nicht erspart, das Scheitern von Lebensentwürfen, körperliches Leiden, Enttäuschung und Tod. Aber auch das ist nicht das Letzte. Auf den entscheidenden Schöpfungsakt Gottes kommt alles an: Mit der Auferweckung des Gekreuzigten zu einem unzerstörbaren Leben beginnt eine neue Welt. Unsere Sehnsüchte werden in reale Hoffnung verwandelt. Das ist es, “was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war”, die himmlische Heimat, in die Gott uns führt. Wir dürfen und müssen also vom Ende her denken und die Adventkerzen an der Osterkerze entzünden.

Der Advent auf Weihnachten hin, die Feier der Ankunft Gottes im Fleisch, seine Menschwerdung sind aufgehoben in dem anderen letzten Advent, der Ankunft des himmlischen Christus in seiner Herrlichkeit, wenn er das Reich Gottes aufrichtet, ohne dass es wieder in Widersprüche gerät. So wird unser jährlicher Advent herausgeholt aus der Wiederholung eines Mythos und zu einer Labestation der großen Hoffnung auf ein Ende aller Entfremdung und auf den Eingang in die ewige Heimat.

In die fröhliche Erwartungsspannung dieser großen Hoffnung auf die Weltvollendung möchten die verlesenen Bibelverse aus dem Hebräerbrief die durch die Zeiten wandernde Gemeinde wieder einweisen. Auf der Folie des alttestamentlichen Opferkultes und seiner Sprache erinnert er an das Heilsereignis, dass Jesus als Opferlamm und Hoherpriester zugleich mit seiner Lebenshingabe den Weg zu Gott freigemacht hat. Wenn wir mit ihm verbunden sind, fallen die Lasten unserer Schuld ab, die uns oft genug wie Bleigewichte niederdrücken und uns gefangen halten. Wir genießen nun königliche Freiheit, lernen neu den aufrechten Gang und haben freien Zugang zu Gott. Priesterliche Vermittlung und wiederholte Opferungen sind abgeschafft. Das verleiht der Gemeinde Kraft und Zähigkeit an der großen Hoffnung festzuhalten und gespannt auf den Tag des Herrn zu warten.

Aber das hapert´s offenbar bei den Christinnen und Christen, an die der Hebräerbrief gerichtet ist. Die dritte Generation der Urchristenheit ist anscheinend schon müde geworden, die Hoffnung brüchig. Viele kommen nicht mehr zu den Gemeindeversammlungen. Irgendwie fühlen wir uns in der Gegenwart ertappt. Die Zahl unserer Gemeindemitglieder ist durchwegs größer als die derer, die aktiv am Gemeindeleben teilnehmen. Die evangelische Minderheit in Österreich wird immer geringer, und die Christenheit in Österreich scheint insgesamt an Gewicht zu verlieren.

Aber das sind nur die äußeren Zeichen. Der innere Substanzverlust in einer Wohlstandsgesellschaft ist das wirkliche Problem.

Dagegen stemmt sich der Hebräerbrief. Er erinnert an die unermüdliche Treue Gottes und spannt den Hoffnungsbogen neu. Er belebt die Erwartungshaltung und gibt neuen Mut.

Wir feiern heute Kirchweih. Dankbar erinnern wir uns an Bernhard Zimmermann und die Brüder und Schwestern, die es in der besonderen, für das Burgenland so untypischen Ev.Pfarrgemeinde Eisenstadt-Neufeld a.d.Leitha gewagt haben, 1935 in schwerer “Zwischenkriegszeit” die Auferstehungskirche zu bauen. Ebenso dankbar freuen wir uns, dass heuer, im Juni 2013, das neue Gemeindezentrum eingeweiht werden konnte. Gewiss, die Erde ist des Herrn, und die Gemeinde Jesu Christi kann sich überall zum Gottesdienst versammeln, sie bedarf keiner speziell “heiligen” Räume.

Aber wir sind doch glücklich, dass wir besondere Orte haben, wo wir uns treffen können, um auf Gottes Wort zu hören, zu singen, zu beten und die Sakramente zu feiern, und auch um uns geschwisterlich auszutauschen in froher Runde. Die Stunden der Besinnung, der empfangene Trost, die Stationen der Glaubensbiographie Taufe, Konfirmation und Trauung: Sie schaffen eine besondere Aura und “heiligen” dann doch auch die Räume unseres Zusammenkommens. Sie sind zwar solide aus Steinen gebaut, aber in Bezug auf unsere Pilgerschaft durch die Zeit doch nur Zelte, in denen wir Oasen der Ruhe und der Erquickung unseres Glaubenslebens erfahren.

Danach gilt es wieder aufzubrechen und auf dem Weg einander in liebevoller Gemeinschaft zu helfen und zu ermutigen. Wir folgen keinem P r i n z i p Hoffnung, sondern gehen voller Zuversicht dem Tag des Herrn entgegen und rufen gemeinsam in den Mühen und Kämpfen unseres Pilgerlebens: O Heiland, reiß die Himmel auf. Amen

Klaus Heine

Orgelmeditation zu “O Heiland, reiß die Himmel auf“