Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Liedpredigt EG 376 „So nimm denn meine Hände“

Ewigkeitssonntag 20.November 2011 Eisenstadt

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und von unserem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde!

Am nächsten Sonntag beginnt mit dem 1.Advent das neue Kirchenjahr. Heute, am letzten Sonntag des vergehenden Kirchenjahres, begehen wir den Ewigkeitssonntag. Manchmal wird er auch Totensonntag genannt, aber Ewigkeitssonntag hat sich in unserer Kirche als zutreffender durchgesetzt, weil unsere Blicke sich über unser Leben hier auf Erden hinaus richten auf Gottes Ewigkeit.

Und wie jedes Jahr gedenken wir in diesem Gottesdienst am letzten Sonntag des Kirchenjahres namentlich der Verstorbenen des vergehenden Kirchenjahres in unserer Gemeinde, die uns in die Ewigkeit vorausgegangen sind.

Aber mit eingeschlossen sind natürlich auch all die Menschen, die Ihnen lieb gewesen sind und lieb sind, auch wenn sie nicht Gemeindeglieder waren oder schon länger verstorben sind. Sie sind eingeladen, sich diese Ihre Lieben in unserer gottesdienstlichen Gemeinschaft mitzuglauben, besonders auch bei der Feier des Hl. Abendmahls.

Vor ungefähr einem Monat haben wir uns von Martha Weidmann verabschiedet, einem unserer treuesten Gemeindeglieder in Neufeld, die solange sie nur konnte - bei kaum einem Gottesdienst, einer Veranstaltung gefehlt hat und auch Mitglied der Gemeindevertretung war..

Sie hat sich für ihre Verabschiedung ein Lied vorher selbst ausgesucht, weil es ihr am Herzen lag und weil sie es so gerne gesungen hat …

„So nimm denn meine Hände ...“

Beim Nachdenken darüber ist mir aufgefallen, wie vielen Menschen dieses Lied ans Herz gewachsen ist und so manche haben es sich ebenfalls für ihr Begräbnis gewünscht. Ich denke nur an Luise Feichtinger oder Theresia Weissmantel, den älteren noch bekannt.

Was macht eigentlich das Besondere an diesem Lied aus, dass es so viele Menschen bewegt und berührt?

Das hat mich beschäftigt und darum werde ich heute mit Ihnen versuchen, über dieses Lied nachzudenken und etwas hinter die Kulissen zu schauen.

„So nimm denn meine Hände und führe mich“ (EG 376 zum Mitlesen)

Interessant ist, dass dieses Lied nicht nur eines der meistgesungenen bei Beerdigungen ist, sondern vor allem früher auch sehr häufig bei Trauungen gesungen wurde. Obwohl ich doch meine, dass es ein Lied des Glaubens ist, dass eher von Tief-Zeiten als von Hochzeiten spricht.

So nimm denn meine Hände und führe mich
bis an mein selig Ende und ewiglich!
Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt;
Wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

Da war eine junge Frau aus dem Baltikum: Julie Katharina von Hausmann

Sie wurde am 7.März 1826 in Mitau in Zentral-Lettland, nicht weit weg von Riga geboren.

Mitau war bis 1919 Hauptstadt des Kurlandes. Heute heißt es Jelgava und liegt ungefähr 70 km von Skaistkalne entfernt, jenem kleinen lettischen Dorf an der litauischen Grenze, in dem unsere jüngste Tochter Solveig ihr Austauschjahr verbringt. Auf lettisch heißt sie übrigens Solveiga.

Zurück zu Julia Hausmann: Sie war die Tochter eines Gymnasialoberlehrers, die fünfte in der Reihe von sechs Schwestern - mit großem Altersabstand zu den anderen und darum ziemlich alleine im Elternhaus, sie liebte die Stille und Einsamkeit.

Das war für das eher scheue Mädchen sicher prägend und hat ihren Glauben, ihre Gebete und auch ihren Hang zur Poesie mitgeformt.

In der Zeit der Vorbereitung auf die Konfirmation fand sie eine persönliche, liebevolle Beziehung zu ihrem Heiland, so dass sie ihr Herz und junges Leben Jesus zu eigen gab.

Nach ihrer Konfirmation war sie als Lehrerin und Erzieherin in verschiedenen Häusern ihrer baltischen Heimat tätig, musste aber wegen ihrer schwächlichen Natur und fortwährenden Kränklichkeit oft ihre Stellungen wechseln.

In stillen Stunden schrieb sie nieder, was sie innerlich bewegte oder was ihr in schlafloser, schmerzensreicher Nachtstunde zum Lied geworden war.

In ihrer Scheu, anderen einen Blick in ihr Innenleben zu gewähren, hielt sie ihren Schatz ängstlich geheim und teilte ihre Gedichte nur wenigen mit.

Unter den wenigen war auch eine Freundin, die den Berliner Pfarrer Gustav Knak mit den Gedichten der jungen Frau bekannt machte.

Der Berliner Pfarrer bat Julie Hausmann dann brieflich, ihm ihren ganzen Vorrat an Liedern zu übersenden, da er sie zum Besten des Waisenhauses in Hongkong herausgeben wolle.

Sie ging auf die Bitte Knaks ein und setzte ihre dichterischen Arbeiten fort.

Sehr häufig spielt in ihren Gedichten die Nacht eine wichtige Rolle, wohl auch deshalb, weil sie unter chronischem Kopfschmerz und unter Schlaflosigkeit litt.

Über die Finsternis schreibt sie immer wieder, über die Abwesenheit Gottes ... weniger die Ergebenheit des Glaubens ist zu spüren als eine verzweifelte Sehnsucht nach Gottes Nähe und Begleitung.

1862 wurde ihre Gedichtsammlung schließlich gedruckt, unter dem Titel „Maiblumen. Lieder der Stillen im Lande“ – ohne Namensnennung.

Sie suchte Heilung von ihrem Kopfleiden in verschiedenen Kurorten Deutschlands und im Süden. Sie lernte die Sächsische Schweiz kennen, den Rhein, die Tiroler und Schweizer Alpen und die Pyrenäen.

Vier Jahre brachte sie in Biarritz (Südfrankreich) zu, wo ihre jüngste Schwester Organistin an der englischen Kirche war. 1870 fand sie eine Heimat in St. Petersburg bei ihrer ältesten Schwester, die dort Vorsteherin der St. Annenschule war. Sie führte den Haushalt und gab einige Musikstunden in und außer dem Hause.

Im Jahre 1896 veröffentlichte Julie Hausmann übrigens ein 700 Seiten dickes Andachtsbuch mit kurzen Betrachtungen für Dienstboten unter dem Titel „Hausbrot“.

Im gleichen Jahr verstarb ihre geliebte jüngste Schwester an Influenza, was für Julie einen schweren persönlichen Schlag bedeutete.

Sie selbst starb am 15.August 1901 während der Ferien der Familie im Ostseebad Vösu am estnischen Strand im Alter von 75 Jahren.

Auch wenn ihre Gedichte 1862 anonym herausgegeben wurden, ließ sich ihre Name nicht lange geheim halten. Ihre Lieder wurden zunächst im ganzen deutschsprachigen Raum gesungen, dann auch übersetzt in viele Sprachen.

Das bekannteste ihrer Lieder wurde eben „So nimm denn meine Hände“.

Diese rasche Verbreitung hat auch mit der Melodie des Liedes zu tun. Sie stammt vom süddeutschen Komponisten Friedrich Silcher.

Er wurde 1789 im Remstal in Baden-Württemberg geboren, und ist 1860 in Tübingen verstorben.

Er hat als Komponist auch Motetten, Kammermusik und zwei Ouverturen für grosses Orchester geschrieben, aber am bekanntesten wurde er durch seine Vertonungen von Liedern. Wussten Sie, dass das bekannte Volkslied „Ännchen von Tharau“ nach seiner Melodie gesungen wird? Oder die einfache Version von „Am Brunnen vor dem Tore“ , so wie sie heute verbreitet ist, nach dem Schubert-Lied.

Oder „Lorelei“ („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin“) nach einem Gedicht von Heinrich Heine. Oder „Ich hatt einen Kameraden“ nach einem Gedicht von Ludwig Uhland. Oder „Muaß i denn, muaß i denn zum Städtele hinaus“. Oder das bekannte Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“. Und zu vielen anderen Liedern, die eigentlich bei uns als Volkslieder gelten, hat Friedrich Siller die Melodie geschrieben.

Und eine der bekanntesten ist die Vertonung des Gedichtes von Julie Hausmann: „So nimm denn meine Hände“.

Aber eigentlich hat er die Melodie nicht für dieses Lied geschrieben, sondern die gabs schon 20 Jahre vorher für ein Abendlied einer gewissen Agnes Frank:

Wie könnt ich ruhig schlafen
In dunkler Nacht,
Wenn ich, o Gott und Vater,
nicht dein gedacht ?
Es hat des Tages Treiben
Mein Herz zerstreut ;
Bei dir, bei dir ist Frieden
Und Seligkeit.

Und diese Melodie wurde dann übernommen für „So nimm denn meine Hände“, Text und Melodie haben sich zusammengefunden zu einem der meistgesungenen geistlichen Lieder des deutschen Sprachraums. Manche meinen, man würde es dem Lied deutlich abspüren, dass es von einer Frau geschrieben wurde, weil es doch gefühlsbetonter und zärtlicher sei als viele andere Lieder im Gesangbuch.

In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz,
Und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.
Lass ruhn zu deinen Füssen dein armes Kind;
es will die Augen schließen und glauben blind.

Die Entstehungsgeschichte des Liedes ist nicht 100% verbürgt, aber sie wird in vielen Büchern und Erzählungen weitergegeben.

Die Lehrerstochter aus dem Baltikum hatte sich in einen jungen Theologen verliebt. Doch ihr Auserwählter wollte nicht Gemeindepfarrer werden, sondern als Missionar nach Afrika gehen – damals eine komplizierte Angelegenheit.

Die beiden verlobten sich, und dann ging der junge Missionar auf die Reise. Seine Braut sollte ihm einige Monate später folgen.

Sie nimmt die strapaziöse Schiffsreise auf sich mit der frohen Erwartung vor Augen: Sie wird ihren Liebsten wieder sehen. Doch der erwartet sie nicht im Hafen. Stattdessen wird sie auf den Friedhof der Missionsstation geführt: Ihr Verlobter war an einer Epidemie gestorben - drei Tage vor ihrer Ankunft.

Noch am gleichen Abend - so heißt es - setzt sich Julie Hausmann hin und dichtet ihr Lied, in dem es in der dritten Strophe heißt: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht: So nimm denn meine Hände ...!“

Die nicht stattgefundene Hochzeit und der Abschied verbinden sich hier auf dichte Weise. Sie hat damit ein Lied voller Vertrauen und Glauben geschaffen, das ihr sicherlich auf ihrem schweren Rückweg von Afrika geholfen hat, das aber auch mit der bewegenden Melodie heute vielen Menschen, die Abschied nehmen, Trost und Halt gibt.

Es gäbe so viele Beispiele, wo und wann dieses Lied gesungen wurde und Trost gegeben hat. Z.B. von ukrainischen Mennoniten, die nach Kanada emigrierten.

Als ein Beispiel zitiere ich aus einem „Evangelischen Wort“ von Superintendentin Luise Müller aus Innsbruck (14.5.2006).

„Warum mir heute Text und Melodie des Liedes „So nimm denn meine Hände“ nicht aus dem Kopf gehen, weiß ich nicht. Weil ich überarbeitet bin und jemand an meiner Seite möchte, der mich begleitet und einiges abnimmt? Weil ich älter und damit sentimentaler werde? Immerhin ist dieses Lied aus dem 19. Jahrhundert eines, bei dem Menschen, wenn sie es singen, schon mal Tränen in die Augen bekommen. Vielleicht kommt es mir auch in den Sinn, weil es das Lieblingskirchenlied meines Vaters war, dessen Todestag sich bald wieder jährt. Wie gesagt: Ich weiß es nicht, warum ich gerade dieses Lied vor mich hin summe. Tatsache ist aber auch: Die Lieder, die ich als Kind gelernt habe, die begleiten mein Denken und Tun, die schleichen sich immer wieder in mein Bewusstsein. Sie tun mir gut.“

Als Julie Hausmann ihre Gedichte an Pfarrer Knak schickte, schrieb sie in einem Begleitschreiben: „Sollte auch nur ein Herz durch dieses schwache und unvollkommene Lied erfreut werden, so wäre es ja eine Gnade, für die ich immer wieder singen und loben wollte, mein Leben lang.“

Sie hat nicht nur ein Herz damit erfreut, sondern unzählige getröstet und in schwerer Situation Kraft und Trost gegeben, gerade in den Stunden des Abschieds und des Todes.

Mit dem kindlichen Vertrauen, dass ihre Hände gehalten werden, dass sie an der Hand genommen wird und zum Ziel geführt, auch durch Dunkelheit und Nacht.

Und es zeigt sich hier wie so oft, dass der Trost des Glaubens, im Lied gesungen, die Herzen oft stärker und tiefer bewegt als Worte allein es vermögen.

Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht,
du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht:
so nimm denn meine Hände und führe mich
bis an mein selig Ende und ewiglich!

Amen.

Quellen: Handbuch zum EG 2, Komponisten und Liederdichter; Biographisch-Bibliographisches
Lexikon, Wikipedia, Internet.

 

Pfarrer Dr. Herbert Rampler