Evangelisch
Eisenstadt - Neufeld

Liedpredigt EG 30 „Es ist ein Ros entsprungen“ (Jesaja 11, 1-9)

„Es ist ein Ros entsprungen“ - haben wir gesungen.

Nicht ein Ross ist gemeint, ein entsprungenes Pferd, wie manche Schüler wohl meinen, dessen Hufabdrücke wir im Schnee sehen könnten und das es einzufangen gälte.

Auch nicht eine Rose, obwohl dieses Bild dem Gemeinten nahekäme.

Sondern ein Reis. Ein Zweig. Ein neuer Trieb, der aus der alten Wurzel wächst.

„Es ist ein Ros entsprungen,

aus einer Wurzel zart,

wie uns die Alten sungen,

von Jesse kam die Art

und hat ein Blümlein bracht

mitten im kalten Winter

wohl zu der halben Nacht.“

Dieses bekannte und uns liebgewordene Weihnachtslied ist vor langer, langer Zeit entstanden.

Im 16.Jahrhundert war es schon bekannt, aber es gibt Überlieferungen, die in die vorreformatorische Zeit zurückgehen.

E i n e solche Überlieferung[1] führt uns zu einem Mönch namens Bernhardus – Bernhard eigentlich, aber damals war es Mode, die Namen lateinisch auszusprechen.

Bernhardus war Mönch im Benediktinerkloster Corvey an der Wesel.

Es ist eine kalte Winternacht. Der Mönch rafft seine Kutte zusammen und stapft durch den dicken Schnee über den Hof des Klosters. Er beeilt sich, um möglichst schnell in die Kapelle zu kommen.

Schließt die schwere Eichentür hinter sich zu und wendet sich zum Altar, um ihn für die Gottesdienste herzurichten.

Dann bleibt er überrascht stehen. Sein Blick fällt auf eine kleine Blüte an der Wand.

Er selbst hat die Blume dort eingepflanzt. Einer der Missionare hat sie ihm aus dem hohen Norden mitgebracht.

Und jetzt ist sie aufgeblüht. Trotz Eis und Schnee draußen.

Trotz Kälte und Winter. Mitten in der Nacht.

Eine Blüte zu Weihnachten!

So erzählt man sich die Geschichte, wie der Mönch Bernhardus zu unserem Lied gekommen ist, zumindest zu den Anfängen.

Eine Blüte zu Weihnachten. Und dabei fallen ihm die Worte des Propheten Jesaja ein, aus dem 11.Kapitel – in der Bibel kennt er sich ja aus.

Überschrieben: Der Messias und sein Friedensreich

1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.

2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören,

4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.

5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.

6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben.

7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder.

8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.

9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.

Dieser Abschnitt beschreibt ein Bild, das vor den Augen des Propheten Jesaja entsteht. Eine Vision vom wahren König, vom zukünftigen Messias.

Dieses Bild unterscheidet sich wesentlich von den tatsächlichen Verhältnissen, die er vor Augen hat. Denn die Könige Israels waren nicht immer so, wie sie hätten sein sollen.

König David ist gestorben, sein Sohn Salomo besteigt den Königsthron in Jerusalem. Er weiß, wie schwer seine Aufgabe ist. Noch dazu ist er jung und unerfahren. [2]

In dieser Situation hat er einmal des Nachts einen Traum:

Der Herr erscheint ihm und sagt zu ihm: „Erbitte, was ich dir geben soll.“

Salomo überlegt nicht lange, er bittet nicht um Macht und Reichtum, sondern um Weisheit.

„So schenke nun Deinem Knecht ein hörendes Herz, Dein Volk zu richten,

zu unterscheiden zwischen Gut und Böse,

denn wer vermöchte zu richten dieses Dein schweres Volk.“ (1.Kön. 3,8-9)

Ein hörendes Herz wünscht sich der Verantwortliche eines Volkes für seine Regierung.

Das wäre wohl auch ein Weihnachtswunsch für alle unsere Regierenden und die Verantwortlichen im Staat, im Land, in unseren Gemeinden – und auch in den Presbyterien und Gemeindevertretungen.

Ein hörendes Herz. Es wird so viel geredet. Und so schnell geschossen. Und so schnell geurteilt und manchmal auch ver-urteilt.

Ein hörendes Herz. Und Weisheit – wünscht sich Salomo.

Die Bitte wird ihm gewährt. Seine Weisheit wird sprichwörtlich – ein „salomonisches Urteil“. Sie erinnern sich vielleicht an die Geschichte mit den beiden Müttern.

Und Reichtum und Macht bekommt er noch dazu.

Aber leider, er schafft es nicht, immer nach seinen Idealen zu handeln: Weisheit und Gerechtigkeit. (In Klammern: Wer schafft es, immer nach seinen Idealen zu handeln).

Vielleicht korrumpiert Macht wirklich – jedenfalls werden Salomo Ehre und Reichtum wichtiger (und die Frauen nebenbei auch; damit hatte schon sein Vater David seine Probleme).

Dieses Bild hat der Prophet Jesaja vor Augen. Das Bild eines Königs, der gut angefangen, sogar den Tempel in Jerusalem gebaut, aber dann letztlich doch in Vielem versagt hat. Sozusagen als negativen Hintergrund.

Und nun zeichnet er ein Bild vom wahren König, vom Messias, der in der „Späte der Zeit“ kommen soll.

Zeichnet ein Bild vom Messias und seinem Friedensreich.

„Es ist ein Ros entsprungen“ … heißt es in unserem Lied.

Es wird ein Reis hervorgehen … ein Zweig aus seiner Wurzel wird Frucht bringen und neues Leben entwickeln.

„Von Jesse kam die Art“ … heißt es im Lied.

Gemeint ist Isai, der Vater Davids, der Großvater Salomos.

Das Alte Testament ist voll von Verheißungen, dass der Messias, der zukünftige Erlöser, ein „Sohn Davids“ sein wird, einer aus dieser Dynastie. Auch im Neuen Testament wird das immer wieder aufgegriffen. Das geht so weit, dass „Sohn Davids“ sogar zu einem ausdrücklichen Titel für den Christus wird.

Beim Einzug Jesu auf einem Esel in Jerusalem heißt es (Matth. 21,9): „Die Menge aber, die ihm vorausging und nachfolgte, schrie: Hosianna, dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe!“

[Eisenstadt: Und in dem wunderbaren Lied „Tochter Zion“ mit der Melodie von Georg Friedrich Händel, das wir später noch singen werden, heißt es: „Hosianna, Davids Sohn“]

Interessanterweise sagt Jesaja aber nicht, dass das Reis, der neue Zweig, aus dem Stamm Davids hervorgehen wird.

Sondern aus dem Stamm Isai: „Von Jesse kam die Art.“

Vielleicht schwingt hier auch die Enttäuschung mit, so sehen es zumindest manche jüdische Ausleger, dass David und Salomo ihr Königtum letztlich nicht nach Gottes Willen gestaltet haben.

Isai wird genannt, der Vater Davis, der Großvater Salomos – Stammvater der Dynastie, aus der der Messias hervorgehen soll, ein Urahne von Jesus.

Und wenn wir schon beim Stammbaum Jesu und Davids und Salomos sind: Kennen Sie das Buch Ruth im Alten Testament? – Eine ganz bezaubernde Lebens- und Liebesgeschichte.

Ruth, eine Moabiterin, eine Fremde, eine Ausländerin – sie war die Großmutter des Isai, Urgroßmutter des Königs David usw….

Wichtige Personen der Bibel mit – wie man heute sagen würde – Migrationshinter-grund“. Vielleicht wird nicht ohne Grund den Stammbäumen in der Bibel großes

Gewicht beigemessen.

Isai – „von Jesse kam die Art“.

Und dann zeichnet Jesaja ein Bild vom wahren König, vom Messias, den wir Christen als Jesus Christus glauben:

Vom Friedensreich. Vom Gottesreich.

In dem die wilden Tiere neben den zahmen leben.

In dem die Wölfe bei den Lämmern wohnen und Kühe und Bären nebeneinander weiden.

Friedensreich, Gottesreich … Eine Utopie. Ja, wenn wir die täglichen Nachrichten daneben stellen.

Und doch auch zukünftige Herrlichkeit.

Zukunft. Vertröstung auf das, was kommen wird?

Aber hat Jesus nicht gesagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“??

Das ist mehr als eine Utopie, ein Schönbild der Zukunft – es ist eine Verheißung, ein Versprechen Gottes.

Das soll geschehen. Das wird passieren. Dazu ist Gott Mensch geworden.

Man kann das kleine Kind in der Krippe verniedlichen, verharmlosen, verchristkindlmarkten…

Aber das Kind in der Krippe ist nicht klein geblieben. Es ist groß geworden. Es ist auch in die Schuhe geschlüpft, die die Propheten von altersher bereitgelegt haben:

2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN.

Und der großgewordene, der erwachsene Jesus hat gesagt: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch!“ Es ist da.!

Überall dort, wo Menschen an diesen Christus glauben und sich nicht nur nach ihm Christen nennen, sondern auch so leben, dort ist das Reich Gottes da.

Dort spukt das Friedensreich Gottes hinein in unsere alltäglichen Zwistigkeiten und persönlichen Zwiespältigkeiten.

Dort bekommen auch die Engel wieder Raum, nicht die pausbäckigen aus der Barockzeit mit ihren Flügeln und etwas aufgedunsen, sondern die – wörtlich übersetzt – Botinnen und Boten Gottes. Sie überbringen eine Botschaft.

Eine Botschaft, die in unserer Eisenstädter Geschichte sogar ins Wandbild geschrieben ist: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Liebe Gemeinde, das ist Weihnachten. Nicht der Glühwein und der Christkindlmarkt.

Nicht das Auspacken der Geschenke und das gute Essen.

All das ist spätestens am Stephanitag vorbei.

Was bleibt, ist die Blüte mitten im Winter.

„Es ist ein Ros entsprungen …“

Der Zweig aus einer Wurzel, bei der Vieles falsch gelaufen ist.

Die Blüte, die der Kälte und dem Winter trotzt.

Das Gottes- und Friedensreich, das mehr ist als eine Utopie.

„Denn es ist mitten unter euch!“

Weihnachten eben. Das ganze Jahr über.

Amen.

 


[1] Wolfgang Heiner, Bekannte Lieder-wie sie entstanden, 34f

[2] Nach Richard Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Bd.3, 138ff